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7. Juli 2016

Das Wunderkammer-Prinzip – Das Kabinett des Doktor Olbrich

Als sich zu Zeiten der Spätrenaissance und des Barock die Welt auf Grund besserer Reisemöglichkeiten zu öffnen begann, kam es bei vermögenden Bürgern und Fürsten in Mode sich Räume für die Mitbringsel von Reisen, Kunst und Artefakte anzulegen. Neben der Zurschaustellung der eigenen Weltgewandheit und des Vermögens war der Zweck der Sammlung den universellen Zusammenhang aller Dinge darzustellen oder die bloße Aufforderung sich zu wundern. Diese Wunderkammern können als ein Vorläufer des Museums betrachtet werden.
Um 1650 kamen dann die großen Denker und Sortierer in Form der Aufklärer. Die bis zur Decke mit konservierten Fröschen, Landkarten, Schrumpfköpfen und geschnitzten Kirschkernen vollgestopften Räume galten nun als unnützer Plunder und der Philosoph Descartes gab zu bedenken, dass zu viel Verwunderung gar negativ sei und nur zur Verwirrung führe.
Seither gibt es Museen für Alles und Jedes, schön kategorisiert und geordnet. Doch in der gegenwärtigen musealen Ausstellungspraxis beginnt sich ein Trend zur Installation abzuzeichnen, der als eine zeitgenössische Interpretation der Wunderkammer verstanden werden könnte. Kaum etwas wird nur gestellt oder gehangen, stattdessen werden ganze Räume mit Installationen bespielt. Zwischen den Arbeiten sollen Zusammenhänge deutlich werden und Kunst für den Betrachter durch das sinnliche Erlebnis besser erfahrbar gemacht werden.
Ein Kunstsammler der sich dieses Prinzip zu eigen gemacht hat ist der Essener Chemiker und Arzt Thomas Olbrich. Als Kind fing er an mit dem Sammeln von Briefmarken und Matchboxautos, heute hat er eine Kunstsammlung die 2500 Werke umfasst. Ein Teil davon kann man in seinem eigens dafür gebauten Museum, dem me Collectors Room/ Stiftung Olbrich in Berlin, besichtigen. Die Sammlung ist in ihrer Auswahl und Zusammenstellung sehr subjektiv und meilenweit entfernt von dem was einem jeder hochbezahlte Kunstberater empfehlen würde. Olbrich sammelt was ihm gefällt und das können genauso große Namen wie Gursky, Sherman oder Richter sein wie auch junge Kunst, Design oder Kuriositäten aus aller Welt. Was die Vielfalt eint ist das Interesse am Menschen, weniger am Offensichtlichen, mehr am Verborgenen, an dem was sich unter der Hülle versteckt. Olbrich kultiviert seine Vorliebe für das Körperliche, Sexuelle, Abseitige, Morbide und teilweise Schockierende. Seine angefressenen Leichenplastiken, die Fleischberge und die weiblichen und männlichen Geschlechtsteile in jeder Fasson und jedem Erregungszustand sind nichts was man sich am Sonntagnachmittag mit seinen Großeltern angucken würde.
Die Sammlung umfasst auch eine Wunderkammer mit allen fünf Kategorien der klassischen Wunderkammer: die Artificialia (kostbare Kunstwerke), die Naturalia (seltene Naturalien), die Exotica (Objekte aus fremden Welten), die Scientifica (wissenschaftliche Instrumente) und die Mirabilia (unerklärliche Dinge). Ergänzt werden diese durch angewandtes Design und zeitgenössische Kunst. In der Berliner Sammlung ist die Wunderkammer ein fester Bestandteil, gegenwärtig ist ein Teil davon in Essen im Museum Folkwang zu sehen. Mit seinen Exponaten bespielt Olbrich hier die Rauminstallation „Helm“ des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros. Der überdimensionierte Holzhelm der sich aus einzelnen durchsichtigen, beleuchteten Waben zusammensetzt und betreten werden kann, beschäftigt sich mit der Ausstellungspraxis und ihren Grenzen. Genauso wie sich Olbrich mit den Grenzen zwischen Kunst, Design, Handwerk und Natur beschäftigt. In seiner Sammlung hat eine über und über mit Straßsteinen besetzte Baby Born genauso Platz wie eine Büste mit Penisnase wie ein Stapel handelsüblicher Lappen. Kitsch vermischt sich mit Kunst, Humor mit Ernsthaftigkeit und die Grenzen verschwimmen. Die Frage was eigentlich Kunst ist wird aufgeworfen und gleichzeitig mit einer maßstabsgetreuen Miniaturmetzgerei beantwortet. Hört man auf zu kategorisieren und zu bewerten kann man einen Blick in den Kopf des Kunstmäzens Olbrich werfen und die Welt ein stückweit anders entdecken.
me Collectors Room Berlin / Stiftung Olbricht
Auguststraße 68
10117 Berlin
„Gediegenes und Kurioses- Los Carpinteros, Ouyang Chun und Lieblingsstücke aus der Sammlung Olbrich“
8 April- 30 Oktober 2016
Museum Folkwang
Bismarckstraße 60
45128 Essen